Dieses Dokument wurde im Rahmen der Taskforce CONA - "Coronakrise darf nicht zur Armutskrise werden" von Expert*innen der Volkshilfe Wien erarbeitet. Für Rückfragen stehen wir gerne unter innovation@volkshilfe-wien.at zur Verfügung.
Die Volkshilfe Wien steht seit ihrer Gründung an der Seite benachteiligter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener. Wir setzen Angebote, um Scheren und Gaps zu schließen - auch während der sogenannten Corona-Krise, die die unterschiedlichen Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen und Familien deutlich sichtbar macht. Wenn Bildungsaufträge ins Private verlegt und Unterstützungsleistungen durch “die Familie” vorausgesetzt werden, gehen die Scheren auf. Die Volkshilfe Wien will die Stadt Wien dabei unterstützen, im Zuge der digitalen Bildungsstrategie den Fokus auf die Herstellung von mehr Chancengleichheit zu legen.
Wir haben hier einige zentrale Einsichten und Erkenntnisse zusammengefasst. Grundsätzlich merken wir an, dass eine laufende Einbindung sozialer Organisationen in digitale Transformationsprozesse sehr wünschenswert und notwendig erscheint. Digitale Transformationen sind immer auch soziale Transformationen – hier ist die Expertise der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession von großer Bedeutung!
Das Homelearning der letzten Wochen kann als soziales Lernfeld gesehen werden, das uns zeigt, an welchen Stellen angesetzt werden muss, damit benachteiligte Schüler*innen, Berufseinsteiger*innen und Familien nicht noch weiter abgehängt werden. Eine zentrale Frage lautet: Wen erreicht unser Bildungssystem aus welchen Gründen nicht oder nicht ausreichend?
Faktoren wie Armut, Krankheit oder familiäre Krisen führen dazu, dass Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene ihr Potenzial nicht entfalten können. Im Zuge der Digitalisierung von Bildung sind diese Faktoren mitzudenken. Digitalisierung ist nicht die Lösung, sie bietet jedoch die Chance, Kommunikation, Lernen und die Weitergabe von Wissen so zu gestalten, dass mehr Menschen erreicht werden.
Die zum Teil völlig unterschiedlichen Lebenswelten der Schüler*innen verlangen unterschiedliche Kommunikations- und Beziehungsangebote. Wird der Unterricht ins Private verlegt, bestimmt das Private, ob und wie Lernen zustande kommen kann. Es gibt keine einfache Lösung für alle, doch es muss für alle eine Lösung geben! Das Konzept der Lebensweltorientierung ist eine Voraussetzung für eine gerechte Bildungsstrategie.
Erfahrungen aus dem Homelearning 2020 in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften
Kinder und Jugendliche, die nicht in ihren Familien aufwachsen können, finden besondere Bedingungen vor, unter denen Lernen stattfindet. In sozialpädagogischen Wohngemeinschaften werden 8 bis 9 Kinder und Jugendliche betreut, sie können nicht von 8 bis 12 Uhr an einem Laptop sitzen. Selbst für unsere engagierten Sozialpädagog*innen ist das organisatorisch und technisch zurzeit nicht möglich.
Die Schule als Ort der Normalität fehlt den allermeisten Kindern ganz besonders.
Die „soziale Kontrolle“ der Gruppe fehlt beim Homelearning. Es kann aber auch zu positiven Effekten kommen, da in der telefonischen Einzelbetreuung durch Lehrer*innen die Fragen nicht vor der gesamten Gruppe gestellt werden müssen und die Fragenden sich nicht bloßgestellt fühlen.
Das Partizipieren der Kinder und Jugendlichen gelingt umso besser, je individueller die Vorstellungen von Homelearning an die jeweiligen sozialen und technischen Gegebenheiten im Zuhause (Betreuungseinrichtung oder Familie) angepasst werden.
In Familien mit wenigen technischen Ressourcen kann es zu Konflikten um die Benützung von Smartphone, Laptop und Internet kommen, was die Kinder zusätzlich belastet.
In Familien, wo die Vertrauensbasis zwischen Eltern und Kindern angeschlagen ist, müssen Eltern teilweise mitbetreut und gut informiert werden, damit die Kinder beispielsweise ins Internet einsteigen dürfen, um zu recherchieren.
Wenn die Unterstützung beim Erklären der Aufgaben fehlt, kann die Erreichbarkeit der Lehrer*innen per Telefon oder Messenger das abfedern. Die meisten Jugendlichen telefonieren nicht gern. Der vermehrte schriftliche Austausch ist jedoch besonders für Jugendliche mit schlechten Deutschkenntnissen eine große Hürde beim Mithalten.
Praktische Aufgaben sind schwer zu vermitteln. Das betrifft vor allem die Berufsschüler*innen.
Apps können breiter eingesetzt werden, da viele Kinder und Jugendliche ein Smartphone besitzen. Das trifft aber nicht in allen Familien zu.
Je beziehungsorientierter Lehrerinnen und Lehrer vorgehen, desto besser gelingt die Umstellung auf das Lernen unter schwierigen Bedingungen und in beengten Wohnverhältnissen. Das Interesse am einzelnen Schüler, an der einzelnen Schülerin, zeigt sich als besonders wichtig.
Ein Teil der Jugendlichen, der in niederschwelligen Jobprogrammen den Einstieg ins Berufsleben versucht, verliert die Motivation, wenn ihre Trainer*innen sie nicht mehr persönlich, sondern nur mehr am Telefon oder über einen Messenger erreichen können. Sie werden es in den nächsten Monaten besonders schwer haben, eine geeignete Lehrstelle zu finden.
Welche digitalen Kompetenzen sollen vermittelt werden?
Um die Medienkompetenz für ein lebendiges Unterrichten und Lernen zu erlangen, benötigen Lehrkräfte wie Schüler*innen Rahmenbedingungen, Tools und Unterstützung.
Die Erwachsenen müssen wissen, worauf es ankommt beim eLearning, was rechtlich möglich ist und welche Freiräume und Tools sie für einen zeitgemäßen Unterricht nützen können. Sie sollten vor Ort Ansprechpartner*innen für Digitales haben, die sie dabei unterstützen, beraten und schulen.
Kinder und Jugendliche brauchen klare Regeln, Informationen über Gefahren und die stetige Erweiterung ihrer schon bekannten digitalen Welt. Sie brauchen geschützte Räume, um ihre Erfahrungen zu teilen, zu experimentieren und als Wissensvermittler*innen anerkannt zu werden. Medienbeauftragte, eBuddies, Peer-Tandems und ähnliche Modelle sind denkbar.
Mit dem Fokus auf benachteiligte Kinder und Jugendliche sind uns alle Kompetenzen wichtig, die auf eine umfassende Teilhabe am sozialen Leben ausgerichtet sind und eine sichere Anwendung unterstützen. Kinder und Jugendliche sollen digitale Medien in ihrer breiten Vielfalt kennenlernen und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen, ganz gleich ob in der Schule, in der Freizeit, beim Recherchieren oder Kontakthalten mit Freunden und Familie.
In der Covid-19 Krise hat sich ganz deutlich gezeigt, dass diejenigen, die ein solides technisches Verständnis haben oder wissen, wer ein solches Wissen hat und helfen kann, ungeheuer im Vorteil sind. Die Haltung “Technik muss funktionieren, ansonsten lass ich es lieber bleiben!” ist in einer digitalen Welt nicht mehr möglich. Für digitale Bildungsschwerpunkte bedeutet das, Kindern und Jugendlichen systematisch und lebenspraktisch technisches Grundlagenwissen zu vermitteln. Kinder müssen schon Antworten auf die Fragen haben: Wie funktioniert ein Computer, ein Handy? Was ist LAN, WLAN, USB, etc.? Wie gehe ich bei Störungen und Fehlermeldungen vor? usw. Dazu benötigt es an Schulen Lehrkräfte/Digital Coaches, die ein solches technisches Wissen auch mit Begeisterung und Sachkompetenz vermitteln können.
Susanne Haslinger, Qualitätssicherungsbeauftragte Kinder und Jugendliche
Sandra Müllner, Fachliche Assistenz Soziale Arbeit
Danijela Radisavljevic, Fachbereich Integration und Kulturarbeit
Matthias Schüchner, Leiter Stabstelle Entwicklung
Barbara Werteker, Stv. Projektleitung Jobfabrik
Hinzugefügt von: Susanne Haslinger
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